Donnerstag, 21. Juli 2016

Die Alpenüberquerung Via Migra artet zum Chaoscross aus

Abfahrt vom Schlüsseljoch


Morgens (Tag 6) versprach der Wetterbericht noch, die Gewitter kämen erst am Abend, doch nun standen wir hier am Fuße der legendären Civetta, an der Klettergeschichte geschrieben wurde. Auf 2200 Meter Höhe querten wir gerade riesige Schuttkare, jetzt im Juli immer noch durchsetzt von Schneefeldern, über uns 1000 Meter nackter Dolomitfels, unter uns ein Steilabfall zum See von Alleghe. Unerwartet dröhnend hallt der Donner der plötzlich einsetzenden Blitze. Hatte es doch 


morgens eigentlich ganz gut ausgesehen, blauer Himmel mit Wolkenhaufen, die Civetta war in Nebel eingehüllt.
 Regen setzte ein, die Sicht wurde trüber.
Die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden immer kürzer und wir befanden uns ungeschützt in einem gewaltigen Kessel. Es gab kein Entrinnen, zu weit waren wir schon vom Startpunkt entfernt.
im Gewitter unter der Civetta
Wie waidwunde Rehe hetzten wir durch den Schotter, an Fahren war hier kaum zu denken. Wir stolperten, hoben, schoben, stemmten unsere Bikes so schnell wie möglich über immer wieder verstreute Felsblöcke und Schuttreissen. Plötzlich ein Krachen, als würde ein Baum neben einem abbrechen, ohrenbetäubend, ein Blitz in unmittelbarer Nähe. Adrenalingetrieben  stürzten wir uns unter einen nahen Felsblock, der ein klein wenig Unterschlupf gewährte. Die Lungen pfiffen und wir versuchten uns zu beruhigen und wenigstens das Schlimmste abzuwarten. Doch es blieb bei fünf Blitzen und so warteten wir eine Viertelstunde und diskutierten lebhaft ob es eine Möglichkeit gäbe, aus diesem Hexenkessel zu verschwinden. Doch alle Varianten vom Schotterplateau zu gelangen, führen über ausgesetzte Steige. So blieb nur, weiter auf dem vorgesehenen Weg, hier oben weiter zu queren. Als sich die Gewitter  ein Stück  entfernten, packten wir die Gelegenheit am Schopfe und wieselten geduckt durch die Felsen, über ein kleines Joch, um schnell weiter und alsbald tiefer zu kommen. Es regnete unaufhörlich, der Untergrund wechselte zu erdigem Waldboden, der aufgeweicht, wie ein Schwamm voll Wasser war und rutschig wie Schmierseife. Wir eierten umher, schlitterten zu Tal, als endlich der Regen aufhörte.
nach der Querung der Civetta
1700 Höhenmeter geht es insgesamt von der Forcella Coldai bergab auf Schotter  bis ins Cordevole- Tal, unendlich scheinend, für uns schliesslich das Entrinnen  aus diesem Hexenkessel.
So erging es uns an unserem fünften Tag der Via Migra, ausgetüftelt von Ralf Glaser, der seine Routen bis ins kleinste Detail in seinem Buch beschrieben hat.
Dieser Abschnitt ist anspruchsvoll und hochalpin, wie auch er schreibt und ist am Besten ohne Gewitter zu befahren.
Konnten wir im Tal noch kurz bei Sonne Pause machen, brauten sich bei der Weiterfahrt schon wieder Gewitter zusammen und als sich ein dunkler Regenvorhang, der genau aus der Richtung heranzog, in die wir fahren mussten, drückten wir uns an einen alten Stadel und beobachteten auf der Blitzkarte, wie sich ein Teppich von Blitzeinschlägen uns näherte. Geduldig warteten wir ab, doch immer wieder donnerte und grollte es. Hatten wir doch noch zwei Pässe zu überwinden, blieb uns nichts Anderes übrig, als im Regen und begleitet von entfernten Gewittern, weiter zu kurbeln. Völlig durchnässt, die Schuhe vollgelaufen wie Badewannen, kamen wir am Fusse des Vallespass an, den wir mit einer Gondelfahrt abkürzen wollten: "Mi dispiace, der Lift ist kaputt- der Blitz hat eingeschlagen" ruft uns der Angestellte entgegen.
Während im Hintergrund die Gewitter dröhnten, handelten wir einen Transport mit einem Pickup aus, als der kurz darauf dasteht, schütteln alle nur den Kopf!
Viel zu klein ist die Ladefläche. Doch getrieben von dem Wissen, noch einiges an Strecke vor uns zu haben, stapeln wir mikadomäßig unsere drei Bikes auf die winzige Ladefläche. Es klappte, los gings mit dem Fahrer, der mich  mit glasigen Augen und etwas verdächtigem Atem anhauchte."Wurscht jetzt" dachte ich mir- wir müssen da hoch. Auf der Fahrt, die doch sehr sicher ablief, meinte der Fahrer noch: "Passo Valles good weather" als er nach vorne schaute. Doch drei Kehren weiter war sein Kommentar: "Ooh Passo Valles no good weather". 

So flüchteten wir an der Passhöhe vor der Kälte und dem starken Regen in die Hütte und wärmten uns auf. Als es nachliess mit dem Regen, beschlossen wir das vielgerühmte Val Venegia auszulassen und fuhren auf der Strasse nach Paneveggio ab. Sturzbäche liefen über die Strasse und kurz danach über unseren, vor Kälte starren Körper, in die Schuhe. Ich kam mir vor wie in der Dusche stehend. Es war zum Haare raufen, die Kräfte sanken und man hatte nicht mal mehr Lust, bergab zu fahren. Endlich am tiefsten Punkt angekommen, machten wir uns auf den Weg wieder bergauf auf den Passo Rolle. Unterwegs wurde das Wetter besser, der Rest nach San Martino die Castrozza war unspektakulär und wurde apathisch abgearbeitet.


Weidener Hütte

Aber nun von vorne: Hatte doch alles so gut angefangen, der Wetterbericht versprach drei Tage schönes Wetter, doch als ich im Inntal zu meinen Freunden stieß, die das Karwendel (Tag 1) über das Lafatscherjoch einen Tag zuvor durchquerten, fing es bereits am Weg zur Weidener Hütte an zu nieseln.

Das anschliessende Geiseljoch (Tag 2) ist auf beiden Seiten gut fahrbar, unproblematisch, doch 1400 Höhenmeter höher als das Inntal. Zügig kommt man nach Vorderlahnersbach. 
das Schlüsseljoch
Noch hielt das Wetter und nach dem Tuxer Tal nahmen wir die Bahn fürs erste Stück und den restlichen steilen Pistenzufahrtsweg ganz hinauf strampelten wir. Angekommen am Tuxer Joch machten wir uns für die anspruchsvolle Abfahrt bereit.
am Tuxer Joch
Abfahrt vom Tuxer Joch
Anfangs easy, dann fordernd zirkelt die Abfahrt ins Tal. Nichts für Anfänger, der Trail sorgt im Steilgelände mit losem Schutt und heftigen Stufen für Schweiss auf den Sorgenfalten.  Der scharfkantige Stein bescherte mir hier den ersten Platten. Doch bald trifft man auf einen Fahrweg und flott gehts auf unserer Variante, von oft mehreren von Glaser beschriebenen Möglichkeiten, talauswärts.


Anderntags (Tag 3) lugt die Sonne durchs Fenster und sagt uns zärtlich:"Aufstehen, die Trails warten auf Euch". Da gab es kein Halten mehr, rauf auf den Bock, über die Staatsstrasse hoch zum Brenner und sofort die gut fahrbare Strasse Richtung Schlüsseljoch hoch.

An zwei Almen vorbei, nun auf Schotter, zieht der Weg alsbald steiler empor. Landschaftlich beeindruckt, nach 900 Hm Aufstieg, überquert man die Eintrittspforte zum Pfitscher Tal und unproblematisch spult man anschließend den Schotterweg hinab nach Fußendross, ab.
Schiebestrecke zum nahen Schlüsseljoch
Doch nun folgt der Hammer, das Beste an Naturerlebnis, körperlicher Beanspruchung und Trails, dass ich je gesehen habe: das Pfunderer Joch. 1400 Höhenmeter, hintereinander ohne Unterbrechung, steil, sehr steil nach oben. Ohne Unterlass kämpft man das lange, weite Tal nach oben. Zuerst auf breitem Weg, später durch eine Almwiese, um dann noch mal erbarmungslos aufzusteilen. Einzig die atemberaubend raue Hochgebirgslandschaft lenken einen ab, sonst gibt es nichts und niemanden, der Einem die Marter versüßt.
zum Pfunderer Joch
das Pfunderer Joch
Nun beginnt eine Abfahrtsorgie, die kein Ende nehmen will. Trails, die für diese Höhe unerwartet flowig zu fahren sind, winden sich wie eine Murmeltierachterbahn durch die ausladenden Hochgebirgstäler. Voller Freude lässt man es laufen, durchquert einige kleine Schneefelder und Bäche. Zwischendurch ein Steilabsatz mit Serpentinen, die trotzdem gut zu bewältigen sind. Dann geht es auf mit  scharfkantigen Felsen durchsetzten Schotterwegen hinab nach Pfunders. Man sollte es nicht zu schnell laufen lassen, sonst geht es einem wie mir und Schlauch und Reifen wurden Opfer des splittrigen Gesteins.
Abfahrt nach Pfunders

Ganze 37 Kilometer geht es nur abwärts, zuletzt auf Teer, macht auch dort, bei Highspeed, die Abfahrt Spaß. 
In der Ferne drohten schon wieder Gewitter und im Wiegetritt steuerten wir unsere Unterkunft an.



Die vierte Etappe ist schnell erzählt, von Rodeneck geht es über einen riesigen Bogen über mehrere Almen. In ständigem Auf und Ab ist man der Sonne voll ausgesetzt und nur die tolle Aussicht lenkt Einen ab. Da zischte es plötzlich und das dritte Mal war der Reifen platt. Schuld war der eingerissene Mantel, der den Schlauch austreten liess. Auch unsere diletantischen Versuche den Mantel mit Tape zu verstärken, brachten nichts. Mein Entschluss stand fest, ich fuhr am Würzjoch ab, um einen Bikeshop zu finden. Meine Kumpels folgten noch der Strecke und bikten weiter, über Göma am Peitlerkofel vorbei, nach St. Kassian.
linkerhand führt die Runde über Almhügel bis zum Peitlerkofel
Ärgerte ich mich im einem Moment noch über die schlechte Ausstattung des Shops, so freute ich mich im nächsten Moment, denn es brach ein heftiges Gewitter los, dass das Wasser in Sturzbächen  über die Strasse lief. Im Regen fuhren wir kurz darauf wiedervereint zum Hotel. Blitze zuckten in Nah und Fern.





Tags darauf (Tag 5) hörte es nicht auf zu regnen und wiederum konnten wir viele der beschriebenen tollen Trails nicht fahren. Komplett durchnässt quälten wir uns auf der Strasse an Valparola vorbei, warteten in dern gleichnamigen Hütte die ärgsten Gewitterschauer ab, passierten den Falzarego- Pass und rollten in Wasserfontänen abwärts ins Cordevoletal. Am Schluss gab es noch einen witzigen Trail durch den durchnässten Wald bergab und dabei fiel mir auf, dass bei den kleinen Erschütterungen mein Zahn immer ärger weh tut, den ich schon seit Wochen leicht spürte. Dieser machte seit gestern richtig Schmerzen und angekommen in Alleghe, machte ich mich auf die Suche nach einen Zahnarzt. Es gab keine Möglichkeit in den Nachbarort zu kommen und so quatschte ich einen netten Mountainbiker aus Düren an, der dann so freundlich war, mich hinzufahren. Vielen Dank nochmal;-)  Mit Händen und Füßen, Deutsch, Italienisch und Englisch, brachten wir die Wurzelbehandlung hinter uns und anschließend ging die Tour mit Antibiotika weiter. Von der guten, schnellen Behandlung war ich total überrascht, hatte man von der medizinschen Versorgung in Italien doch schon einiges Negatives gehört.

Nach unserem Inferno- Tag in der Civetta  spitzte endlich wieder mal die Sonne hervor in San Martino di Castrozza, liessen die Gipfel im frischen Schnee erleuchten.(Tag 7)
Wir hofften, dass wenigstens heute, nach vier Tagen, die Schuhe mal wieder austrocknen könnten.  Gemächlich gings dahin auf dem Panoramaweg, immer an einem Hang entlang.
Rückblick zur Pala- Gruppe

Am Ende gings steil über einen Singletrail bergab, der versierte Fahrer war gefordert, um am Passo Gobbera zum nächsten Berg zu wechseln. Dort beginnt eine steile Auffahrt, die anfangs fahrbar, später zum Schieben zwingt und nach 600 Hm zu Bunkern am Gipfel des Monte Totoga führt.
an der Auffahrt des M. Totoga
Bunker am Totoga
Sehenswert sind die Anlagen der Italiener aus dem ersten Weltkrieg, die zum Beschuss der vordersten Linien am Lagorai dienten.
Später nimmt man die, an den Tremalzo erinnernde Schotterserpentinenstrasse mit 48 Kehren, um mit mächtig Dampf die ca. 1000 Höhenmeter wieder zu vernichten. Zur Unterkunft rollten wir über Teer nach Arsie, um anderntags den letzten Abschnitt in Angriff  nehmen zu können.

(Tag 8)
Am Lago die Corlo fährt man über die Siegesbrücke und fädelt unten in eine alte Kriegsstrasse ein und - schwups- kaum 1650 Höhenmeter später steht man am Heldendenkmal des Monte Grappa.
Ponte della Vittoria

Unglaublich was die Italiener aus diesem Berg, der als Auffangstellung ausgebaut wurde, gemacht haben. Der Berg ist mit einem Netz von Stellungen und Wegen überzogen und steht prominent direkt vor der venezianischen Tiefebene. Die Italiener waren sich der wichtigen Lage bewußt und die Stellungen dort oben halfen  ihnen so die Österreicher nach ihrem Durchbruch vom Isonzo, aufzuhalten. Das nutzte der Faschismus zwischen den Kriegen aus und der Berg wurde mit einer Heldengedenkstätte monumentalen Ausmasses bestückt und daraufhin glorifiziert.
Heldengedenkstätte am Monte Grappa
Die abschliessende Abfahrt über einen geschotterten Kriegsweg geht rasant 

105er am Monte Grappa

vonstatten und schon bald cruist man durch die schöne,nette Stadt Bassano.
Bassano del Grappa
Von der Lebensmittelvergiftung, die wir uns in der Pizzeria holten und dem Wespenstich will ich gar nicht mehr reden und nochmal darauf hinweisen, dass Ralf Glaser in seinem Buch alles sehr gut beschrieben hat, wir mit seinen GPS Daten wunderbar zurecht kamen und die Strecke sehr lohnenswert ist. Glaser bietet ausserdem immer mehrere Alternativen an, um bei jedem Wetter weiterzukommen.    

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen